Es ist für einen eher urbanen Menschen wie mich eine Selbstverständlkichkeit, das kulturelle Angebot der Großstadt regelmäßig zu nutzen; sporadisch zwar, aber auch Jahresabstände sind ein Regelmaß.
Um unserer Tochter ein familienkompatibles Vergnügen zu bieten, besuchten wir also gemeinsam eine Kinovorstellung in einem dieser Komfortzentren mit angeschlossener Lichtbildschau. Diese Einrichtungen gibt es schon länger, ich weiß, sie gab es bereits zu Zeiten meines letzten Kinobesuches vor ca. zwölf oder dreizehn Jahren, gut, lass es vierzehn gewesen sein. Was denn? Ich habe ein gemütliches Wohnzimmer mit ausreichend dimensioniertem Bildschirm und DVD-Abspielgerät! Herr Flebbe, unser lokaler Kinomogul hat unlängst in fußläufiger Entfernung unserer Wohnstatt ein Erwachsenenkino eingerichtet, ein Lichtspielhaus mit Erwachsenenfilmen (nein, nicht DIE Sorte) und einer Atmosphäre gediegener Eleganz und Bequemlichkeit. Es soll, so die Absicht, dem etwas älteren Publikum einen von Kindergelärme, Handygefiepe und allgemeiner Unruhe freien Kinogenuss verschaffen. Daran glaube ich nicht! Und das will ich erklären.
Es sind doch gar nicht die Kinder und Jugendlichen, die stören. In die Filme dieser Zielgruppe bin ich ohnehin nicht gegangen und werde dies auch fürderhin nur familienbedingt in Ausnahmefällen tun – dann allerdings ärgere ich mich auch nicht über die kindliche und/oder die um einiges schlimmere pubertäre atmosphärische Gemengelage.
Der bereits angesprochene Film jedenfalls, den ich mit meiner Familie besuchte, hatte ein erwartet gemischtes Publikum und es waren nicht die Kinder und Pubertierenden, die Anlass zu Bitternis und Zweifel am menschlichen Fortschritt gaben.
Es war der erwachsene Kleinbürger, der künftige Kunde des Premiumkinos, der prinzipiell desinteressiert an allem ist, was jenseits seines arg begrenzten geistigen Horizontes liegt – und das ist viel. Der indezent und indolent auftritt, diese Charakterschwächen aber als Stärken seiner Persönlichkeit begreift. Er ist nicht rücksichtslos, er ist selbstbewusst. Er ist nicht aufdringlich, er ist ehrlich. Er ist nicht borniert, er steht zu seinen Ansichten. Seine Mentalität ist die des Schnäppchenjägers: „Aber nicht mit mir, ich bin doch nicht blöd.“
Das zeigt sich dann bei Kinobesuchen in der Form:
- "Ich bin doch nicht blöd und komme bevor der Hauptfilm anfängt. Ich drängele mich lieber mit Popcorneimer und Colamaxibecher im Dunkeln stolpernd und kleckernd durch die sich schon entspannt zurückgelehnten Zuschauer."
- "Ich bin doch nicht blöd und gehe Umwege, wenn ich während der Vorstellung aufs Klo muss oder Getränkenachschub brauche. Auch wenn ich ganz rechts außen sitze und von dort durchaus den Zuschauerraum umrundend zum Ausgang auf der linken Seite gelangen könnte, ziehe ich den kürzeren Weg vor und arbeite mich durch die gesamte Reihe von rechts nach links."
- "Ich bin doch nicht blöd und lasse während der Vorstellung mein Smartphone ungenutzt. Selbstverständlich muss ich überprüfen, ob irgendjemand irgendwo irgendetwas mitgeteilt hat, ich twittere schließlich auch in die Welt, dass ich gerade im Kino sitze und einen Film gucke. Der helle Bildschirm, der den Raum erhellt, stört mich beim Tippen überhaupt nicht."
Er fühlt sich als aufgeklärter Konsument, der lediglich die ihm zustehenden Rechte wahrnimmt, ist aber doch wohl eher von der immer währenden Angst gefangen, von irgendjemanden übervorteilt, benachteiligt, zurückgesetzt zu werden. Also übervorteilt, benachteiligt und setzt er lieber gleich selbst zurück.
Seine geistige Grundhaltung findet ihren Ausdruck im ersten Satz des hessischen Glaubensbekenntnisses nach Beltz: „Isch glaub, isch komm zu korz!!“ Ihm geht es solange gut, solange es seinem Nächsten nicht besser geht. (Nebenbemerkung: Auch darin war der durch die wichtigsten Medien geschürte "Volkszorn" während des Lokführerstreiks begründet: "Wie kommen die dazu, für höhere Löhne zu kämpfen, ich bekomme auch nicht mehr als die!")
Kleinbürgertum ist keine sozioökonomische, sondern eine geistige Kategorie.
Für Flebbes Filmpalast bedeutet dies vor allem, dass die Das-steht-mir-zu-Haltung ausdrücklich bedient wird von einem Heer von 100 Lakaien (die hoffentlich wenigstens anständig bezahlt werden, vermutlich werden sie das nicht), zu dem meines Wissens aber leider keine Abteilung von geschulten Ordnern gehört, die indezentes Erscheinen händisch und unverzüglich entfernen.
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