Sonntag, 1. Juni 2014

Gastronomisches



Max Goldt zitiert bei Gelegenheit eine Bekannte mit der Aussage: "Wer nichts wird, wird Gast." Und da ist verdammt viel dran. Denn die bekanntere Sentenz behauptet ja leichtfertig und empirisch unbelegt, dass nicht viel dazu gehöre, eine Kneipe zu führen - oder einen Biergarten. Das ist eine grobe Verkennung der Sachlage.

Es ist leicht, als Gast und Kunde ein Etablissement abzuwerten: Das Bier ist zu warm, zu kalt, zu teuer, zu schnell gezapft, zu langsam. Dis Speisekarte ist zu sparsam, um den Bedürfnissen nach Vielfalt  zu genügen, oder viel zu umfangreich um gleichmäßig gute Qualität bieten zu können. Die Ausstattung ist zu primitiv oder zu edel, zu spießig oder zu life-stylish. Kritisieren kann man immer und alles. Wichtig für einen angemessen wertenden Gast ist es (und daraus soll man sehen: "Gast" kann auch nicht jeder), Anspruch des Betreibers, Bedürfnis des Zielpublikums, daraus resultierendes Ambiente und Angebot zu erkennen, gegeneinander abzuwägen und dann erst zu schlussfolgern. In einem Schnellimbiss, aber auch im Biergarten kann ich eine  gute Currywurst und frische Pommes frites erwarten, aber kein fachgerecht zubereitetes Sushi. Allerdings auch keine "kleine Portion von der Hackfleischsuppe, aber bitte ohne Hackfleisch."

Schwer hingegen ist es, Wirt zu sein.  Das Handwerk lässt sich erlernen, natürlich, Gastronom ist ein Lehrberuf. Selbst der anfängliche Laie kann es mit einiger Mühe dahin bringen, eine Imbissbude zu betreiben. Der Laden muss aber erst einmal in Gang gebracht werden. Liegt er in der richtigen Gegend, besteht überhaupt Bedarf an einer Gastronomie vor Ort? Gibt es starke Konkurrenz? Müssen sich die Leute erst einmal an etwas Neues gewöhnen?

Es gehört somit nicht viel dazu, möchte man denken, eine bereits über Jahre etablierte Einrichtung zu übernehmen und schlicht weiterzuführen. Doch selbst das kann misslingen, beachtet man existenzielle Basics der Schankwirtschaftslehre nicht.

Und zu denen gehört, verdammt noch mal, den Laden nicht früher zu schließen als ausgewiesen!
Auch nicht, wenn nur noch zwei Gäste anwesend sind!
Die man nicht gut kennt!
Weil man sie nicht kennen kann!
Weil die das erste Mal in dieser Saison da sind!
Weil der Laden erst vor gerade vier Wochen wieder eröffnet worden ist!

Eben: Jahrzehntelange Erfahrung lehrt, worauf es nämlich tatsächlich ankommt: Auf Herz, auf Liebe zum Beruf!

Es ist die Persönlichkeit des Wirts oder der Wirtin. Die bringt kein Aushilfszapfer mit, keine noch so attraktive studentische Bedienhilfe. Und eine solche Persönlichkeit ist Ausdruck der Liebe zum Beruf. Denn ohne Liebe an dieser Form des Geschäfts ist das nicht zu machen. Der Beruf ist stressig, man hat es mit unzumutbaren Arbeitszeiten zu tun, mit nervigen, besoffenen, psychisch labilen, redseligen, aber auch großkotzigen, schikanösen Menschen.

Da hilft Routine, da hilft Gefühl für Timing, da hilft Schlagfertigkeit, da hilft Herz! Wenn die Wirtin oder der Wirt Herz zeigen, Zugewandtheit, Spaß am Beruf, sieht der Gast selbst über kleinere Unzulänglichkeiten hinweg. Der ausgebildete Gast jedenfalls. Der Restgast, der lediglich seine eigene kleine Miesheit an Dienstleistern ausleben will, der Kassiererinnen anpöbelt, Kellner kujoniert, hat natürlich für die Feinheiten menschlicher Existenz kein Organ, der ist auf Krawall gebürstet, weil er sich überall über den Tisch gezogen fühlt "Aber nicht mit mir!"

Ausgebildeter Wirt und ausgebildeter Gast aber verstehen sich prächtig. Die Lokalität hat Atmosphäre, selbst wenn die Einrichtung überholt werden könnte, die Stühle wackeln und der Handtuchspender kaputt ist. Speise und Getränke entsprechen den Anforderungen? Reicht!

Andererseits kann alles picobello, frisch gestrichen und geharkt sein, sobald der Gast das Gefühl hat, eigentlich störe er  im perfekten Betriebsablauf eher, wird er diese gastronomische Einrichtung fürderhin doch wohl zurückhaltender nutzen.

Nachbemerkung: Wieso jemand glaubt, es würde den Reiz einer Freiluftschankwirtschaft in Norddeutschland erhöhen, wenn er sie im "bairischen Biergartenstil" umgestaltet, erschließt sich mir nicht. Ein bairischer Biergarten ist ein bairischer Biergarten und gehört nach Bayern. Die Tradition, dort auf den kastanienbeschatteten Bierlagerkellern Außengastronomie zu betreiben, ist ortstypisch. Waldgaststätten und Ausflugslokale, gerne in Gartenkolonien oder bei Schützenheimen angesiedelt, gibt es hier im Norden ebenso lange, der Charakter ist ein anderer, aber kein schlechterer oder mängelbehafteter. Und solange man hierorts bei Bestellung eines kleinen Bieres ein 0,2l-Gläschen und eben keine Hoiberte bekommt, sollte man diese Bayernhuberei einfach bleiben lassen!