Sonntag, 1. Juni 2014

Gastronomisches



Max Goldt zitiert bei Gelegenheit eine Bekannte mit der Aussage: "Wer nichts wird, wird Gast." Und da ist verdammt viel dran. Denn die bekanntere Sentenz behauptet ja leichtfertig und empirisch unbelegt, dass nicht viel dazu gehöre, eine Kneipe zu führen - oder einen Biergarten. Das ist eine grobe Verkennung der Sachlage.

Es ist leicht, als Gast und Kunde ein Etablissement abzuwerten: Das Bier ist zu warm, zu kalt, zu teuer, zu schnell gezapft, zu langsam. Dis Speisekarte ist zu sparsam, um den Bedürfnissen nach Vielfalt  zu genügen, oder viel zu umfangreich um gleichmäßig gute Qualität bieten zu können. Die Ausstattung ist zu primitiv oder zu edel, zu spießig oder zu life-stylish. Kritisieren kann man immer und alles. Wichtig für einen angemessen wertenden Gast ist es (und daraus soll man sehen: "Gast" kann auch nicht jeder), Anspruch des Betreibers, Bedürfnis des Zielpublikums, daraus resultierendes Ambiente und Angebot zu erkennen, gegeneinander abzuwägen und dann erst zu schlussfolgern. In einem Schnellimbiss, aber auch im Biergarten kann ich eine  gute Currywurst und frische Pommes frites erwarten, aber kein fachgerecht zubereitetes Sushi. Allerdings auch keine "kleine Portion von der Hackfleischsuppe, aber bitte ohne Hackfleisch."

Schwer hingegen ist es, Wirt zu sein.  Das Handwerk lässt sich erlernen, natürlich, Gastronom ist ein Lehrberuf. Selbst der anfängliche Laie kann es mit einiger Mühe dahin bringen, eine Imbissbude zu betreiben. Der Laden muss aber erst einmal in Gang gebracht werden. Liegt er in der richtigen Gegend, besteht überhaupt Bedarf an einer Gastronomie vor Ort? Gibt es starke Konkurrenz? Müssen sich die Leute erst einmal an etwas Neues gewöhnen?

Es gehört somit nicht viel dazu, möchte man denken, eine bereits über Jahre etablierte Einrichtung zu übernehmen und schlicht weiterzuführen. Doch selbst das kann misslingen, beachtet man existenzielle Basics der Schankwirtschaftslehre nicht.

Und zu denen gehört, verdammt noch mal, den Laden nicht früher zu schließen als ausgewiesen!
Auch nicht, wenn nur noch zwei Gäste anwesend sind!
Die man nicht gut kennt!
Weil man sie nicht kennen kann!
Weil die das erste Mal in dieser Saison da sind!
Weil der Laden erst vor gerade vier Wochen wieder eröffnet worden ist!

Eben: Jahrzehntelange Erfahrung lehrt, worauf es nämlich tatsächlich ankommt: Auf Herz, auf Liebe zum Beruf!

Es ist die Persönlichkeit des Wirts oder der Wirtin. Die bringt kein Aushilfszapfer mit, keine noch so attraktive studentische Bedienhilfe. Und eine solche Persönlichkeit ist Ausdruck der Liebe zum Beruf. Denn ohne Liebe an dieser Form des Geschäfts ist das nicht zu machen. Der Beruf ist stressig, man hat es mit unzumutbaren Arbeitszeiten zu tun, mit nervigen, besoffenen, psychisch labilen, redseligen, aber auch großkotzigen, schikanösen Menschen.

Da hilft Routine, da hilft Gefühl für Timing, da hilft Schlagfertigkeit, da hilft Herz! Wenn die Wirtin oder der Wirt Herz zeigen, Zugewandtheit, Spaß am Beruf, sieht der Gast selbst über kleinere Unzulänglichkeiten hinweg. Der ausgebildete Gast jedenfalls. Der Restgast, der lediglich seine eigene kleine Miesheit an Dienstleistern ausleben will, der Kassiererinnen anpöbelt, Kellner kujoniert, hat natürlich für die Feinheiten menschlicher Existenz kein Organ, der ist auf Krawall gebürstet, weil er sich überall über den Tisch gezogen fühlt "Aber nicht mit mir!"

Ausgebildeter Wirt und ausgebildeter Gast aber verstehen sich prächtig. Die Lokalität hat Atmosphäre, selbst wenn die Einrichtung überholt werden könnte, die Stühle wackeln und der Handtuchspender kaputt ist. Speise und Getränke entsprechen den Anforderungen? Reicht!

Andererseits kann alles picobello, frisch gestrichen und geharkt sein, sobald der Gast das Gefühl hat, eigentlich störe er  im perfekten Betriebsablauf eher, wird er diese gastronomische Einrichtung fürderhin doch wohl zurückhaltender nutzen.

Nachbemerkung: Wieso jemand glaubt, es würde den Reiz einer Freiluftschankwirtschaft in Norddeutschland erhöhen, wenn er sie im "bairischen Biergartenstil" umgestaltet, erschließt sich mir nicht. Ein bairischer Biergarten ist ein bairischer Biergarten und gehört nach Bayern. Die Tradition, dort auf den kastanienbeschatteten Bierlagerkellern Außengastronomie zu betreiben, ist ortstypisch. Waldgaststätten und Ausflugslokale, gerne in Gartenkolonien oder bei Schützenheimen angesiedelt, gibt es hier im Norden ebenso lange, der Charakter ist ein anderer, aber kein schlechterer oder mängelbehafteter. Und solange man hierorts bei Bestellung eines kleinen Bieres ein 0,2l-Gläschen und eben keine Hoiberte bekommt, sollte man diese Bayernhuberei einfach bleiben lassen!

Samstag, 15. März 2014

Mensch, ärgere ich mich nicht?

Freunde und Verwandte fragen mich, warum ich hier so lange nichts mehr geschrieben habe. Ob ich mich denn nicht mehr ärgerte.

Und ob ich mich ärgere! Täglich! Jeden Morgen! Abends nicht mehr, denn ich gucke keine Nachrichten. Die sind mittlerweile so grotten-gleichlautend-geleckt-und-gelackt, dass die Aktuelle Kamera selig als eien Fackel der Aufklärung und Wahrhaftigkeit gelten muss.

Also, jeden Morgen ärgern beim Blick in die Hannoversche Allgemeine Zeitung (die Neue Presse ist keinen Deut besser). Aber worüber regt er sich denn auf, der arme Mann? Über fast alles! Es ist zu viel, um darüber im Einzelnen zu reden. Da werden Ressentiments bedient, wenn nicht erzeugt, alte Feindbilder aufgefrischt...

So ist die Mainstream-Berichterstattung über die Situation in der Ukraine und auf der Krim geradezu unterirdisch einseitig und kritiklos gegenüber der westlichen Politik. Ohne weiter und näher darauf einzugehen nur so viel: Wieso zeigt man sich erstaunt bis entrüstet, dass der russische Staatschef nach einem antirussischen Putsch in seinem direkten Nachbarland nicht untätig bleibt und seine auf der Krim stationierte Schwarzmeerflotte militärisch absichert? Das sagt gar nichts darüber aus, ob Herr Putin ein lupenreiner Demokrat ist, aber so und in dieser Weise hätte jeder russische Staatschef handeln müssen. Eine enge Anbindung der Ukraine an den Westen mit möglicher und bereits angekündigter NATO-Ausweitung bis an die russische Staatsgrenze, 500 km - das ist Kurzstreckenraketendistanz - entfernt von Moskau, sollte Putin unkommentiert und tatenlos geschehen lassen?

Die Situation stellt sich inzwischen so dar, dass man froh darüber sein muss, dass der gegenwärtige Präsident der russischen Konföderation weder der unberechenbare Brandstifter ist, als der er von großen Teilen der politischen und medialen Welt beschrieben wird, noch ein windelweicher rettungslos überforderter Alkoholiker wie sein Vorgänger, dem alles aus dem Ruder läuft, sondern der durchaus nicht sympathische kalte und berechnende Machtpolitiker, der seine Interessen zu wahren sucht und lediglich die Mittel einsetzt, die opportun erscheinen - nicht weniger, aber Gott sei Dank auch nicht mehr.

PS: Was ich nicht tue, weil Frau Merkel gesagt hat, dass man das nicht darf, ist, darauf hinzuweisen, mit welchen militärischen und natürlich völkerrechtswidrigen Mitteln, wie dem gezielten Töten von Verdächtigen(!) durch Drohnen die westliche Großmacht, zum Teil mit ausdrücklicher Unterstützung und Beteiligung durch die Bundesrepublik, denn Deutschland darf nicht immer beiseite stehen und nur zuschauen (v. d. Leyen, Steinmeier, Gauck), seit Jahren ihre geostrategischen und wirtschaftliche Interessen in der Welt durchsetzt.

Wie man staatsmännisch abgewogen argumentiert, zeigt mal wieder der Gregor Gysi im Bundestag!

Samstag, 2. November 2013

Hünde


Heute muss ich mich einmal - wie originell - über Hundebesitzer aufregen. Über eine ganz besondere Art von Hundebesitzern. Über bessergestellte Hundebesitzer: Finanziell bessergestellt, nicht etwa sozial oder kulturell! Damit habe ich die Pointe dieses Artikels schon verraten. Wie doof!

Denn sich über den klassische, den spießige Hundehalter lustig zu machen, ist ja seit Jahrzehnten Konsenz unter sich als intellektuell verstehenden Zeitgenossen. Nein, hier geht es nicht um die Omma mit ihrem verfetteten Dackel oder den reaktionären Jägerzaunrentner mit seinem Schäferhund. Auch nicht um den Nachwuchszuhälter mit Jogginghose, Muscelshirt und Pitbull.

Vertreter der einen hier zu besprechenden Kategorie würden sich, und darin erheblich von meiner fundierten Meinung abweichend, sicherlich als kultiviert, interessiert, sozial engagiert bezeichnen. Die finanzielle Situation ist gefestigt. Man ist erfolgreich im Beruf, gerne auch beamtet. Man hat Familie, durchaus schon die zweite und ist um die vierzig. Der Anteil der Grünenwähler in dieser Gruppe ist erheblich, der Verzehr von Bioprodukten und das Fahren eines SUV vertragen sich problemlos. Denn man lebt gesund und ist naturverbunden und möchte das auch gerne demonstrieren (es gibt allerdings auch Menschen, die benötigen den recht geräumigen BMW allein zum Transport ihrer Fahrräder). Diese beschriebenen Menschen brauchen große Hunde: Golden Retriever, Labrador, Irish Setter, Gordon Setter,  Siberian Husky, Australian Shepherd. Solange sie damit in ihren Vororthöllen bleiben, ist mir das egal. Sobald sie aber damit in Urlaub fahren, auf die Insel, auf meine Insel, verliere ich meine Gelassenheit, Geduld und Güte. Dann wünsche ich mir amerikanisches Waffenrecht, gute Deckung, eine ruhige Hand und verständnisvolle Polizeibehörden.

Zur Sache: Seit fast 20 Jahren verbringe ich meinen Urlaub auf der Nordseeinsel Spiekeroog. Zu den entspannten Zeiten des Winters oder, der schulpflichtigen Tochter wegen, in den nicht mehr so ganz entspannten Herbstferien. Nicht mehr so ganz entspannt, denn sie sind da! Und sie werden mehr, von Jahr zu Jahr: Horden jackwoolfskinbejoppter, -behoster und -beschuhter Verbrecherfamilien mit Renommierköter. Jene Tiere werden nicht angeleint ("das ist doch nicht artgerecht"), springen gerne fremde Kinder an ("der will nur spielen"), kacken überall hin ("soll ich das etwa mitnehmen?") und kommen gerne nordseebenässst (Labrador) und stinkend mit ins Restaurant ("der liegt doch nur unterm Tisch"). Die Besitzer sind stolz auf Bewegungsdrang und Tatkraft, und zutiefst davon überzeugt, ihren überzüchteten Carnivoren erzogen zu haben ("er hat halt seinen eigene Kopf, der Racker"). Nein, diese Tiere sind nicht erzogen. Das Aportieren von Stöckchen ist kein Beweis einer Dressurleistung, das Zurückkehren zu Herrchen nach längeren Ausflügen in Dünen und Brutkolonien ist dem Rudeltier immanent und kein Zeichen von Erziehung. Doch habe ich wiederholt das stundenlange und resultatfreie Gepfeife und Gerufe erlebt und das dann auch noch stolze Gesicht gesehen, das der gedankenfreie Leinenhalter aufsetzt, wenn sein Viech sich endlich zu ihm zurück zu kommen bequemte. Gut, der unberechtigte Stolz auf sein Tier ist jedem Hundebesitzer eigen, aber die Selbstgefälligkeit dieser Kaste, die aus einem schlecht erzogenen Hund einen autonomen Freigeist macht, ist in ihrer abstoßenden Borniertheit unerträglich.

Mein ewiges Thema. Eine rundum verrohende Gesellschaft, in der Eigeninteressen einzige Triebfeder des Handelns sind. Und deren privilegierter, weil eigentlich gebildeter Teil nicht mehr willens und in der Lage ist, verantwortlich, einfühlsam, empathisch und zugewandt seiner Umwelt entgegen zu treten, sondern vielmehr entschlossen ist, sein eigenes im Wortsinne asoziales Verhalten als Ausdruck von Freiheitsliebe und Spontaneität zu missverstehen. Und was Wilhelm Heitmeyer in seiner Studie im großen Zusammenhang beobachtet und dargestellt hat, lässt sich eben im Kleinen, Alltäglichen wieder erkennen.

Donnerstag, 18. Juli 2013

Natürlich die Radfahrer

Fahrrad fahren macht Spaß. Besonders wenn es nicht regnet. Lebt man in einer so großartigen Stadt wie Hannover, hat man als Radfahrer recht gute Karten, wenn es darum geht, von A nach B zu kommen, oder einfach grund- und ziellos Sonne und Luft zu genießen. Das Radnetz ist gut ausgebaut, die Naherholungsflächen schnell erreichbar und ebenfalls flächendeckend befahrbar.

Verbesserungsmöglichkeiten gibt es natürlich immer. Was aber jetzt mal wieder aufs Tapet gebracht wird, sagt am allermeisten über die Urheber der jeweiligen Forderungen:

Die SPD schlägt vor, Radwege, die sich beiderseits der Autostraßen befinden, künftig jeweils für beide Fahrtrichtungen freizugeben. Voraussetzungen: Die Wege selbst sind ausreichend breit und die Straßen sehr schwer überquerbar. Nur ist diese Art von Wegen bereits jetzt in beiden Richtungen befahrbar. Der Vorstoß bezieht sich also in Wahrheit auf die übrigen, die nicht ganz so breiten, die an Straßen liegen, die nicht ganz so unüberquerbar sind und ist damit im Prinzip die schlichte Kapitulation vor den Gegebenheiten. Denn in der Praxis werden eben alle Wege  in beiden Richtungen befahren - verbotstwidrig aber regelmäßig.

Der ursprüngliche Grund, warum man seinerzeit Extrawege für Fahrräder zu beiden Seiten der Autostraßen angelegt hat, liegt für Vollsinnige eigentlich auf der Hand. Die Radfahrer benutzen die Straßen wie die motorisierten Verkehrsteilnehmer, lediglich auf Extraspuren und damit vor den mit höherer Geschwindigkeit sich bewegenden Autos etwas geschützt. Solange diese Wege sich am jeweiligen Fahrbahnrand befinden, sind Radfahrer für jeden Autofahrer gut zu sehen und berechenbar - auch für den aus Seitenstraßen einmündenden Verkehr. Zu Unfällen kommt es trotzdem. Das Risiko liegt beim Radfahrer. Warum also gerade für ihn durch Lockerung der ihn betreffenden Regel sein Risiko auch noch erhöhen?

Der ADFC sieht dieses erhöhte Risiko, schließt aber daraus, es sei besser, die Radfahrer auf die Straße zu bringen zwischen die schneller fahrenden Autos, am besten mit Fahrspurwechsel und allem Schischi.  Für eine Fahrradkurier sicher eine akzeptable, wenn nicht gewünschte Alternative. Für 95% der Alltagsradfahrer aber schlichter Blödsinn, da latent suizidal. Hmm...?

Auch die Grünen sehen das erhöhte Risiko. Ihr verkehrspolitischer Sprecher allerdings scheint Sadist zu sein und ein verkappter Radfahrerhasser. Er meint nämlich: Jaja, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Autofahrer einen Fahrradfahrer übersieht, der ihm unerwartet begegnet, vergrößert sich, aber die Autofahrer müssen sich eben daran gewöhnen und entsprechend erzogen werden.Wie bitte? Ich soll meine Knochen hinhalten, um Autofahrer zu erziehen? Die Rechnung geht nämlich so: Anfänglich 50 bis 70 Radfahrer pro Jahr werden vom Gefährt geholt, im zweiten und dritten Jahr geht die Quote schon deutlich auf 40 bis 50 zurück und nach nur zehn Jahren haben sich die Autofahrer weitgehend daran gewöhnt, in Innenstädten Schritt zu fahren, stets bremsbereit, umsichtig und zuvorkommend zu sein.

Sehr lecker sind Leserbriefe zu diesem Thema. Da ist dann gerne von Eigenverantwortung die Rede, will sagen: Regeln weg, jeder passt auf sich selbst auf.

Willkommen in der schönen neuen Welt!

  • Geheimdienste lesen meine Mails?
    Ja, natürlich tun sie das, wenn du zu doof bist und nicht verschlüsseln willst!
  • Die Lebensmittelindustrie packt Pferdefleisch in die Lasagne und Gammelfleisch in den Döner?
    Ja, natürlich tut sie das. Damit musst du rechnen, wenn du dich billig ernähren willst!
  • Bei meiner Riesterrente ziehen mich Banken und Versicherungen über den Tisch?
    Ja, natürlich tun sie das, wenn du die finanztechnischen Feinheiten im Kleingedruckten nicht durchschaust.
  • ...
Im Grunde wird hier schlicht das Recht des Stärkeren propagiert.

Die Zivilisation war bereits weiter fortgeschritten.

Samstag, 15. Juni 2013

Es ist die Indezenz. Es ist die Aufdringlichkeit. Es ist die Schamlosigkeit. Es ist die Distanzlosigkeit. Es ist die Unverschämtheit.


Wenig hat sich in den vergangenen 30 Jahren so sehr gewandelt wie das Verhalten der Menschen in der Öffentlichkeit. Das des Einzelnen, das in der Masse.

Es ist heute unmöglich, U-Bahn zu fahren, ohne belärmt und bequatscht zu werden. Wohlgemerkt, der Zug ist voller Alleinreisender, da finden keine durchaus angeregte Gespräche zwischen Menschen statt - doch halt: Da finden sehr wohl Gespräche zwischen Menschen statt, zwischen weit von einander entfernten Menschen, aber in einer Lautstärke und schamfreien Intensität, die im direkten Gespräch nebeneinander niemals verwendet würden. Es wird über Intimes gesprochen, als würde niemand zuhören können, als wäre man allein zu Hause am Telefon. Das ist gelebte Asozialität. Die anderen gibt es nicht. Und da werden die anderen nicht nur durch Lautstärke und Indezenz gestört, sondern da wird sich völlig unkritisch entblößt.  Nun ist das nicht unbedingt ein Ausfluss von Exhibitionismus - das sicher in Einzelfällen auch -  es ist  eher Zeichen von Empathiemangel und Narzissmus: Da sind keine anderen. Und wird man die anderen auf einmal gewahr, etwa, indem man durch zufälligen Blickkontakt bemerkt, dass der andere offensichtlich die ganze Zeit neben einem steht und mitgehört haben wird, dann kann man schon einmal sehr böse werden.

Gleiche Umgebung, gleiche Symptomatik, gleiche Diagnose. Man bleibt gern im Ein- und Ausstiegsbereich (i. e. in der Tür) der U-Bahn stehen, auch wenn man noch viele Stationen zu fahren hat, und reagiert von verwirrt und erstaunt bis genervt, erbost und handgreiflich, wagt irgendjemand, aus- oder einsteigen zu wollen und dazu den Platz zu benötigen, den man selber in absoluter Bewusstlosigkeit eingenommen hat, einnimmt und einnehmen wird. Handelt es sich bei diesen bewusstlosen Okupanten um Frauen, kann es für einen männlichen ÖVP-Nutzer richtig gefährlich werden: Unerwünschter Körperkontakt = sexuelle Belästigung = Beschimpfung, Skandal, Polizei...

Zudem ist, ich bin Ohrenmensch, alles lauter geworden. Damit ist nicht nur das überlaute Musikhören im privaten Umfeld gemeint. Seit flächendeckender Etablierung wattstarker Stereoanlagen vor 40, 50 Jahren ist dieses Phänomen bekannt. Nein, es scheint heute Pflicht zu sein, freudige Gefühlsregungen mit Gelärm und Gegröhl zu begleiten. Es gibt kein internationales Fußballturnier mit deutscher Beteiligung mehr, zu dem nicht in jeder Kleinststadt Leinwände mit Bierständen aufgebaut werden, vor und an denen das Partyvolk die Sau rauslassen muss, um im Anschluss an ein von der eigenen Mannschaft gewonnenes Spiel die halbe Nacht hupend im Autokorso durch die Innenstädte zu kariolen.

Auch das von mir bereits angesprochene sommerliche Freizeitverhalten ist zwanghaft mit Lärm verbunden. Natürlich wird auf der Wiese nicht einfach gemeinsam gegessen und getrunken, nein, es muss gefeiert werden. Alles ist Event -  und Event hat laut zu sein. Interessant, weil in diesem Zusammenhang entscheidend: Das Gelärme geschieht hierbei nicht einmal in provokativer Absicht, wie in den wilden früheren Zeiten, in denen es mindestens gegen das vermuffte Spießertum ging, wenn die Anlage aufgedreht wurde. Nein, sie wollen heute gar nicht provozieren, sie sind vielmehr absolut besinnungs- und verständnislos, und schlicht nicht in der Lage, zu erfassen, dass ihre Versuche der Lebensäußerung auch von anderen Menschen wahrgenommen werden, bzw. wahrgenommen werden müssen.

Der Lärm ist somit in voller Breite beim Spießer selbst angekommen.

Egal welches comedy-ähnliche Fernsehformat mit Publikum: Die Tribüne johlt, pfeift und trampelt bei jeder Äußerung des Protagonisten, zumeist aber einfach, um zu demonstrieren, dass sie da ist.
(Nebenbemerkung: es gibt Menschen, die noch nie einen miesen Film, ein schlecht inszeniertes Theaterstück, ein misslungenes Candlelight-Dinner, einen enttäuschenden Urlaub erlebt haben, denn da sie sich, umfassend informiert, erfahren, weltgewandt und geschmackssicher, wie sie sind, für diesen Kinobesuch, dieses Theater, dieses Restaurant und diesen Urlaubsort entschieden haben, ist klar, dass die getroffene Wahl erste Kategorie sein musste, somit auch war und deshalb gar nicht enttäuschen konnte.)
Auch bei nicht komikaffinen kulturellen Darbietungen gibt es  keinen einfachen Applaus mehr - intensiv und anhaltend,  mindestens ein Pfosten ist mit Sicherheit im Raum, der seine Anerkennung mit Pfiffen und Freudenjuchzern zum Ausdruck bringen muss.

Ich glaube, sie finden sich cool, locker, offen, spontan, unverkrampft und authentisch. Dabei sind sie doch nur angepasste, nachäffende und verkrampft fröhliche Spießer mit Tattoo und Piercing, die ihre zu Empfindungen noch fähigen Nachbarn kujonieren und belästigen.

Darf ich so über Menschen rechten?  Weil mich die Lebensäußerungen dieser Menschen betreffen, mal mehr (was wirklich reicht), meistens weniger (durch freiwillig eingenommene Distanz), nehme ich mir das Recht, über sie zu urteilen.
"Zu einer Freizeitgesellschaft, die sich ganz offensichtlich nur um die Bedürfnisse von Autofahrern, Hunden, Hundebesitzern und aggressiven Befürwortern von Schönwettermißbrauch herumorganisiert, kann ein dezenter Lebensteilnehmer nur ein distanziertes Verhältnis haben." (Max Goldt,  Ä, Zürich 1997, S, 157) 

Nun war früher nicht alles besser. Früher war alles früher (Malmsheimer)... Aber ich alter Knochen muss doch feststellen, dass eine später als repressiv denunzierte Erziehung, die die Rücksicht auf andere Menschen in den Vordergrund stellte, im Heranwachsenden zumindest das Bewusstsein erzeugte, dass eigenes öffentliches Tun ab einer gewissen Intensität den Mitmenschen betreffen, berühren, stören oder verletzen kann.

Freitag, 17. Mai 2013

Antagonismus, der


Lebenshaltung eines verschworenen Kreises alter Männer mit einem gemeinsamen Erweckungserlebnis

Dieser knappe enzyklopädische Eintrag (Reallexikon sinnverwirrender Eindrücke und Zustände) kann natürlich nicht die volle Bandbreite antagonistischer Existenz beschreiben und nicht die ganze Tragweite der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Fortdauer der westliche Zivilisation, wenn nicht für das Überleben der Menschheit insgesamt, umreißen.

Ergänzt werden sollte, dass sich dieser Kreis nur einmal jährlich öffentlich zeigt, um seinen Glauben zu bekennen.

Die Bedeutung antagonistischer Weltsicht und Lebensweise ist gerade in Zeiten, die durch so genannte Alternativlosigkeit geprägt sind, gar nicht zu überschätzen. Sehenden Auges treiben die korrupten Knechte des Kapitals die politisch Verantwortlichen die Völker eines reichen Staatenbundes in Armut und Not, um die Interessen einer kleinen Gruppe menschenverachtender, ausbeuterischer Blutsauger einiger weniger Kapitaleigner zu bedienen, und stellen ihr Handeln als alternativlos dar. Das ist es nicht, das war es nie, und nur weil die Behauptung There ist no alternative so hübsch apodiktisch plakativ daherkommt - inklusive einer knackigen Abkürzung TINA - wird sie nicht richtiger.

Richtig hingegen ist, dass NAPOLEON FISCHER lebt! In uns allen! Allzeit, all überall!
Und bald wieder neu:  Am 28. Mai -  um 12.56 Uhr - am Kephalopoden - Heute Kein Schaschlik!

Zum Thema FISCH: Heino Jaeger

Samstag, 23. März 2013

Alle reden vom Wetter...

Es ist Frühling. Und es ist kalt. Das mögen die Leute nicht. Sie mosern, meckern und meutern. Kein unverbindlicher Gesprächsbeginn, kein Smalltalk ohne mehr oder weniger deutliches Augenverdrehen und sich beschweren über einen nicht enden wollenden Winter. Ich kann dem dann nur Konventionen einhaltend und so ein kontroverses Gespräch vermeidend  unengagiert nickend stumm ausweichen. Ich finde das Wetter in Ordnung.

Nun ist es nicht so, dass ich den Sommer gar nicht mag. Es gibt hier gediegene Biergärten: Schattig am Wasser und nahe der eine für den Nachmittag, weiter draußen, fern vom Gestank und Lärm der Stadt der andere für lange Abende bei lauer Luft und Dämmerung um elf. Des erfreuet sich mein Herz. Das kühle perlende Getränk, die aromatische Zigarette (ja, in Hannover darf man noch im Freien rauchen), das anregende Gespräch: Das ist sehr schön!

Aber der ganze Rest...

Hitze, Schwüle, Schweiß. Stechende Sonne, stickige, stinkende Stadtluft, miefige Mitmenschen, die einen durch aufdringliche Körperlichkeit belästigen und lärmen. Ja, lärmen! Es scheint ein Gesetz zu geben, dass sich der gemeine (wörtlich!) Mitmensch im Sommer im Freien aufzuhalten und seiner Lebensfreude dadurch Ausdruck zu verleihen hat, dass er lärmt. Selbst wenn er zu Hause bleibt, sitzt er auf dem Balkon, grillt und säuft und johlt zu impertinenter Bumsmusik (gerne Ballermann-Hits 1-6) bis spät in die Nacht, ja, bis in den frühen Morgen, gerne während der Woche, denn im Sommer hat immer jemand Urlaub und kümmert sich um seine arbeitenden, den Nachtschlaf benötigenden Mitbürger einen Scheißdreck. Nein, das muss ich nicht haben.

Dann: Wie entgeht man Wärme, wenn man gerade keine Wärme haben will? Man hält sich in klimatisierten Räumen auf. Toll! In Räumen, die man dann besser nicht mehr  verlässt, oder wie? Den ganzen Tag im Museum, oder was? Man zieht sich nicht viel an. Das machen nicht wenige und das sieht nicht immer gut aus. Wenn man dann, zu Selbsteinschätzung in der Lage, eigentlich wenig geneigt ist, die eigenen Gestalt und ihre eher mittig angeordneten volumenoptimierten Bestandteile noch durch Knappheit der Kleidung zu betonen, Verhüllendes aber der Wärme wegen nicht in Betracht kommt, angezogen zu werden, mag man Sommerhitze nicht recht leiden.

Wie angenehm ist es hingegen im Winter: Es ist kalt, die Luft ist klar. Und wenn ich keine Kälte haben mag, bleibe ich im Hause oder ziehe mich warm an und gehe hinaus in Gottes freie Natur. Kaum ein Mensch, kein Lärm. Ich kann mich bewegen, wo ich möchte. Ich kann frei atmen und gerate nur in Schweiß, wenn ich es will. Aah!

Und wenn es dann, so wie jetzt, schon frühlingshaft lange hell ist, denke ich mir: So kann es gerne bleiben.